Gibt es nicht wichtigere Dinge?

Natürlich gibt es in unserer Welt viele Missstände, die als gravierender eingeschätzt werden können als die Tatsache, dass es im Deutschen einen Mangel an leicht aussprechbaren geschlechtsneutralen Wörtern gibt. Zu erwähnen wären z. B. extreme Armut, Kriege, der menschengemachte Klimawandel und der Mangel an Demokratie in vielen Ländern. Auch wenn der Blick auf das Themenfeld der Geschlechtergerechtigkeit und der Rechte von LGBTQ+-Personen und zusätzlich auf den deutschsprachigen Raum fokussiert wird, können noch mehrere wichtigere Belange ausgemacht werden, z. B. die ungleiche Bezahlung für Frauen im Vergleich zu Männern bei gleicher Arbeit, das veraltete und erniedrigende Transsexuellengesetz und die unzureichende rechtliche Anerkennung nichtbinärer Personen. Bei all diesen Themen und vielen weiteren ist es natürlich sehr wichtig, keine Chance zur Verbesserung ungenutzt zu lassen.

Allerdings sollten verschiedene Themen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Gesellschaftlicher Wandel passiert immer an vielen Fronten gleichzeitig, und häufig können sich positive Veränderungen in einem Bereich auch positiv auf andere Bereiche auswirken. Nur weil ein Missstand weniger Leid als andere verursacht, heißt es nicht, dass er ignoriert werden sollte.

Anders als bei vielen anderen Themen kann bei der geschlechtsneutralen Sprache jedey einzelne zum Fortschritt beitragen, ohne auf eine Entscheidung von oben abwarten zu müssen. Durch die Entscheidung, im eigenen Sprachgebrauch geschlechtsneutrale Formen zu verwenden, kann jedey, derm das Thema wichtig ist, ganz nebenbei zur weiteren Verbreitung dieser neuen Formen beitragen, ohne deswegen weniger Zeit und Energie für andere wichtige Belange zu haben. Denn Sprachwandel funktioniert bekanntlich am besten, wenn er sich von unten aufgrund veränderter kommunikativer Bedürfnisse durchsetzt.

Das Argument, es gäbe doch wichtigere Missstände im Verhältnis zwischen den Geschlechtern, wird nach unserer Beobachtung häufig von denjenigen vorgebracht wird, die sich auch wenig für andere Aspekte der Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, wohingegen diejenigen, die sich auf verschiedene Weisen für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, auch gerne geschlechtergerechte Sprache verwenden. Zusätzlich zu ihrer kommunikativen Funktion hat Sprache nämlich auch eine wichtige symbolische Komponente, die bei diesem Thema sicher eine große Rolle spielt.

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