Pro-Contra-Liste: Grundform-Possessivform-Paare

Auf dieser Seite geben wir eine Übersicht über die aus unserer Sicht wichtigsten Argumente für und gegen die Grundform-Possessivform-Paare, die in dieser Umfrage zur Bewertung stehen. In den Fußnoten findest Du Details, die Du ohne großen Informationsverlust überspringen kannst.

Es gibt vier Muster, die Possessivform zu bilden, die bei mehreren der Kombinationen auftreten. Diese stellen wir im Abschnitt „1. Deklinationsweisen“ vor. Im Abschnitt „2. Grundformen“ geben wir Pro- und Contra-Argumente bzgl. der zu acht zur Wahl stehenden Grundformen (dey, de, hen, en, em, e, ee, sier), wobei wir zwar keine Argumente aus dem ersten Abschnitt wiederholen, aber vereinzelt auf Paare eingehen, die aufgrund der spezifischen Kombination Vor- oder Nachteile haben, die nicht aus den Bestandteilen ableitbar sind, die unter 1. Deklinationsweisen aufgeführt sind, oder die eine Possessivform haben, die in keine der vier Kategorien unter 1. Deklinationsweisen gehört.

1. Deklinationsweisen

1.1. Grundform+s

Eine bereits recht verbreitete Praxis bei der Bildung der Possessivform von Neopronomen besteht darin, an die Grundform ein -s anzuhängen. Bei der Grundform hen würde die so gebildete Possessivform zum Beispiel hens lauten. Dass diese Bildungsweise schon recht verbreitet ist, deutet darauf hin, dass sie für viele Deutschsprachige recht intuitiv ist, auch wenn bisher kein Possessiv-Artikel so gebildet wird. Das liegt womöglich daran, dass viele ein selbstgewähltes Neopronomen ähnlich wie einen Eigennamen empfinden.¹

1.2. Formen auf -en

Die Possessivformen dieser Gruppe sind immer zweisilbig, denn sie sind in Analogie zu den Genitivformen der Demonstrativ- bzw. Relativpronomen „der/die/das“ gebildet: dessen und deren. Die Form deren wird bisher schon von vielen mit dem Neopronomen dey zusammen verwendet. Das hat zwar einerseits den Vorteil, dass die Possessivform schon existiert und somit nicht so fremdartig wirkt. Aber andererseits könnte sie in manchen Kontexten mit dem femininen bzw. pluralischen deren verwechselt werden. Um dies zu umgehen, haben wir zusätzlich die Form deyren vorgeschlagen.

Außerdem ist die Form bisher nicht deklinierbar, das heißt, es wird bspw. deren Jacke gesagt statt etwa dere Jacke oder derene Jacke. Das ist zwar in den meisten Kontexten kein Problem, kann aber besonders dann zu Verwirrung und Missverständnissen führen, wenn das Bezugssubstantiv im Genitiv steht: Der Satz „Macht das Essen deren Mutter glücklich?“ klingt zum Beispiel eher so, als wäre dies die geschlechtsneutrale Alternative zu „Macht das Essen ihre/seine Mutter glücklich?“. Die Interpretation als „Macht das Essen ihrer/seiner Mutter glücklich?“ ist weniger naheliegend. Eine Lösung dieses Problems wäre natürlich, einfach „Macht das Essen von deren Mutter glücklich?“ zu sagen und den Genitiv somit zu umgehen. Wenn aber der Genitiv beibehalten werden soll, wäre es naheliegend, die Endung -en in deren durch die entsprechende Endung zu ersetzen, die andere Possessiv-Artikel im gleichen Kontext erhalten würden: „Macht das Essen derer Mutter glücklich?“ Das hätte aber den Nachteil, dass es eine solche Deklinationsweise im Deutschen bisher nicht gibt, wodurch sie für viele unintuitiv sein könnte. Etwas natürlicher könnte es auf einige wirken, nicht nur im Genitiv die Endung -en zu ersetzen, sondern immer, wenn die anderen Possessiv-Artikel eine Endung erhalten würden: „dere Jacke“, „mit derem Auto“ etc. Die Form deren bzw. deyren würde also nur auftreten, wenn die anderen Possessiv-Artikel endungslos wären oder selbst auf -en enden (im Akkusativ Maskulinum und im Dativ Plural).

1.3. Formen auf -ers

Diese Endung hat sich in der Artikeldiskussion als einzige für den Genitiv der Artikel durchgesetzt. Sie besteht aus einer Mischung aller Artikel-Endungen des Genitivs (z. B. einer + eines = einers). Wenn auch die Possessivform auf -ers endet, ist das Gesamtsystem einheitlicher und es müssen weniger Formen gelernt werden.²

1.4. Form sihr

Hierbei handelt es sich um eine Mischung aus dem maskulinen Possessiv-Artikel sein mit dem femininen ihr. Dadurch wird sie von vielen wahrscheinlich schneller als Possessivform identifiziert.

Ein Nachteil ist, dass die Form in der gesprochenen Sprache nach einem Wort, das auf einen s-Laut endet, kaum von ihr unterscheidbar wäre: „Ist das sihre Tasche?“ vs. „Ist das ihre Tasche?“

1.5. Stammwechsel

Die Formen deren und sihr haben sich bisher in mehreren Kombinationen mit Grundformen qualifiziert, die diesen Formen sehr unähnlich sind. Wie bei fast allen deutschen Possessivformen würde es also einen Stammwechsel zwischen der Grundform und der Possessivform geben. Also z. B. en/sihr analog zu es/sein. Das würde die Deklination des Pronomens für viele wohl natürlicher erscheinen lassen, die Erlernbarkeit aber erschweren.

2. Grundformen

2.1. Grundform dey

Bei dieser Grundform handelt es sich um eine Eindeutschung des englischen Pronomens they, das im Englischen mit Abstand das verbreitetste geschlechtsneutrale Pronomen ist. Im Deutschen wird die Form dey bereits von vielen nichtbinären Menschen verwendet. Ein Nachteil besteht darin, dass der Diphthong ey im Deutschen bisher kaum existiert und dessen Aussprache daher für viele Deutschsprachige nicht klar oder nur schwer artikulierbar sein könnte. Aus dem gleichen Grund könnte er für viele auch unnatürlich, wie ein Fremdkörper wirken.³

Kombinationen

  • dey+deys: Die Form deys klingt in einigen Kontexten dem Demonstrativum dies- sehr ähnlich: „Wo ist deyse Tasche?“ vs. „Wo ist diese Tasche?“
  • dey+deren: Diese Kombination hat bereits breite Beliebtheit gefunden, nicht zuletzt wegen der Parallele zum englischen they und their. Bzgl. Problematiken der Form deren siehe 1.2. Formen auf -en.
  • dey+deyren: Um den Nachteil der Form deren zu umgehen, dass sie für das feminine oder pluralische deren gehalten werden könnte, könnte die Form zu deyren verändert werden, was sogar noch besser zur Grundform dey passt und immer noch an das englische their erinnert.
  • dey+deyer: Die Possessivform „deyer“ wird analog zu „euer“ dekliniert (mit Tilgung des e vor dem r: „deyre Jacke“). Sie erinnert wie deren und deyren an das englische their, ohne die gleichen Nachteile der Deklinierbarkeit wie bei den Formen auf ‑en zu haben. Aufgrund der Analogie zu euer könnte es aber auf manche wie eine Pluralform wirken.

2.2. Grundform de

In der Umgangssprache werden häufig die Formen „der/die/das“ statt „er/sie/es“ verwendet. In dieser Verwendung werden die Formen nicht als Artikel bezeichnet, sondern als Demonstrativpronomen, die – genau wie das Relativpronomen – in allen grammatischen Fällen außer dem Genitiv mit dem bestimmten Artikel identisch sind. Daher könnte die inklusivische Form „de“ praktisch auch als Grundform des Personalpronomens fungieren. Es gibt allerdings subtile Unterschiede zwischen der Verwendung des Personalpronomens und dieses Demonstrativpronomens.

In der Umgangssprache gibt es oft einen Wahrnehmungs-Unterschied zwischen Sätzen, die mit einem Personalpronomen formuliert sind, und solchen, die stattdessen ein Demonstrativpronomen verwenden. Die Feinheiten sind zu vielschichtig, um sie hier darzulegen, doch der Unterschied ist in den folgenden zwei Beispielsätzen deutlich zu merken: „Magst du sie?“ vs. „Magst du die?“ Wäre das inklusivische Personalpronomen mit dem Artikel bzw. Demonstrativpronomen „de“ identisch, würden diese Unterscheidungsmöglichkeiten verlorengehen, was zu eingeschränkter Ausdrucksvielfalt und in manchen Kontexten zu Missverständnissen führen könnte. Andererseits würde das Aufgeben dieser Unterscheidung im Inklusivum dazu führen, dass das neue Formensystem leichter erlernbar wäre.

Die einzige Kombination, in der sich die Grundform de in den Abstimmungen qualifiziert hat, ist de+deren. Einmal von den allgemeinen Argumenten gegen deren abgesehen (siehe 1.2. Formen auf ‑en), könnte diese Possessivform im Zusammenhang mit de verwirren, da sich de ansonsten wie ein Demonstrativpronomen verhält, nur die Genitivform würde vom bisherigen Muster „Genitiv des bestimmten Artikels +en“ abweichen. Die inklusivische Genitivform des Demonstrativpronomens lautet entsprechend dersen.

2.3. Grundform hen

Diese Form ist aus dem Schwedischen entlehnt, wo sie ein sehr verbreitetes geschlechtsneutrales Pronomen ist, das schon im zwanzigsten Jahrhundert in Analogie zu hon („sie“) und han („er“) gebildet wurde. Ähnlich wie dey wird auch hen im Deutschen bereits von vielen nichtbinären Menschen verwendet. Dabei ist hen im Gegensatz zu dey im Deutschen gut aussprechbar. Allerdings würde es für einige weniger wie ein Pronomen wirken, da es bisher noch kein Pronomen im Deutschen gibt, das mit dem Buchstaben h beginnt.

Kombinationen

  • hen+hens: Das ist wohl bisher die meistverbreitete Kombination dieses Pronomens.
  • hen+hers: Die Possessivform hers wird genauso geschrieben wie das englische Possessivpronomen hers von she („sie“), wodurch sie für Deutschsprachige, die auch Englisch sprechen, weiblich konnotiert sein könnte.

2.4. Grundform en

Die Form en ist analog zu er und es nach dem Muster „e+Konsonant“ gebildet, wodurch sie für viele intuitiv als Pronomen erkennbar wäre und auch natürlich wirken könnte. Die Form bietet sich auch gut an, um analog zu bspw. „Hatse schon gegessen?“ und „Hatter schon gegessen?“ verschliffen zu werden („Hat’n schon gegessen?“, wobei „hat’n“ wie „hatten“ klingt), was mit der Form em aufgrund der Mundstellung bei der Artikulation des m weniger gut funktioniert.

2.5. Grundform em

Diese Grundform teilt die meisten Vorteile mit en, nur dass sie aufgrund des m auf viele wohl mehr wie eine Dativform wirkt. Außerdem lässt sie sich, wie schon unter 2.4. Grundform en erwähnt, nicht so gut verschleifen wie en. Die Form klingt im Gegensatz zu en auch sehr wie ähm, was zu Verwirrung führen kann. Ein Vorteil von „em“ gegenüber „en“ ist, dass „em“ klanglich besser als „en“ von „ihn“ unterscheidbar ist; insbesondere für den Fall, dass wir im Inklusivum allgemein nur den Genitiv und Dativ vom Nominativ unterscheiden (was ja bei den Artikeln eine der beiden noch im Raum stehenden Möglichkeiten ist), wäre dies ein relevanter Vorteil, da „en“ als Akkusativform klanglich häufig mit „ihn“ verwechselt werden könnte, „em“ hingegen kaum.

2.6. Grundform e

Der Buchstabe e ist einerseits der häufigste Buchstabe in der deutschen Sprache und andererseits der einzige Buchstabe, der sowohl in er, in sie als auch in es vorkommt. Daher führt diese Form im Vergleich zu anderen Vorschlägen weniger leicht zu unerwünschten Assoziationen. Im Kontext mit dem Gesamtsystem betrachtet, passt e gut mit der Grundform des bestimmten Artikels de zusammen und auch mit dem derzeit beliebtesten Vorschlag für die Bildung geschlechtsneutraler Substantive, bei der die Endung ‑e angehängt wird.

Allerdings kann die klangliche Nähe zu er in der gesprochenen Sprache manchmal zu Missverständnissen führen. Um dies zu reduzieren, sollte e immer als ein langes, geschlossenes e wie in Lesung und niemals als ein e-Schwa wie in Bedarf ausgesprochen werden. Daher bietet sich eine Verschleifung wie in „Hatse schon gegessen?“ weniger an, da „Hatte schon gegessen?“ kaum von „Hatter schon gegessen?“ unterscheidbar ist.

Kombinationen

  • e+es: Die Possessivform in diesem Paar ist nach dem Muster „Grundform+s“ gebildet (siehe 1.1. Grundform+s), hat allerdings den Nachteil, genauso geschrieben zu werden wie das neutrale Pronomen es. Außerdem ist die Aussprache des e unklar: In Analogie zur Grundform sollte es lang gesprochen werden, aber die meisten würden wohl zuerst denken, es würde wie im neutralen Pronomen es ausgesprochen.
  • e+ehs: Um die lange Aussprache des e zu verdeutlichen, wird bei dieser Possessivform ein h eingefügt, was allerdings in der Schriftform nicht mehr ganz so gut motivierbar ist wie e+es, da bei Anhängen eines Genitiv-s bisher bei keinem Wort ein h eingefügt wird.

2.7. Grundform ee

Die Grundform ee hat ähnliche Vor- und Nachteile wie e. Durch die Schreibweise mit Doppelvokal wird explizit gemacht, dass bei der Aussprache immer ein langes e verwendet werden soll. Andererseits ist im Schriftbild dadurch die Analogie zu de und den Substantiven auf ‑e beeinträchtigt.

In der Kombination ee+ees werden die Nachteile der Kombinationen e+es und e+ehs bei gleichbleibender Aussprache umgangen.

2.8. Grundform sier

Diese Grundform besteht aus einer Mischung aus sie und er. Dadurch wirkt sie wohl auf viele zwar gut motiviert, doch es kann für einige auch eine Binarität mitschwingen, da in der Form nur die weibliche und männliche enthalten ist, kein Element, das auf andere Geschlechter hindeuten würde. Außerdem ist sier in der gesprochenen Sprache leicht mit sie verwechselbar.

Die Possessivform sihn, die in Kombination mit dieser Grundform in der Umfrage vorkommt, ist wie sihr eine Verschmelzung von sein und ihr. Zusätzlich ist es im Schwedischen ein geschlechtsneutraler Possessiv-Artikel. Ein Nachteil ist die klangliche Näher zu sein, die nicht nur zu männlichen Assoziationen führen könnte, sondern in der gesprochenen Sprache auch zu Verwechslungen mit sein.


Fußnoten

1    Darauf deutet auch die Praxis hin, diese Possessivform nicht zu deklinieren, also z. B. „ens Jacke“ zu sagen statt „ense Jacke“. Da dies aber in bestimmten Kontexten Probleme mit sich bringt, haben wir uns in der Diskussion darauf geeinigt, Possessivformen nach diesem Muster „Grundform+s“ wie die bisherigen Possessiv-Artikel zu deklinieren. Das könnte aufgrund der Analogie zum Genitiv von Eigennamen für viele Deutschsprachige aber weniger intuitiv sein.

2    Bei allen Grundformen, die mit einem e beginnen, würde die Possessivform nach diesem Muster ers lauten. Das könnte Assoziationen mit dem maskulinen er hervorrufen. Andererseits ist die Form lautlich auch nah am femininen ihr dran, was dies vielleicht ausgleicht.

3    Ein weiterer Nachteil dieser Grundform besteht darin, dass sie in reduzierter Aussprache nach einem Wort, das auf t endet, mit er verwechselbar ist: „Hat dey schon gegessen?“ zu „Hatte schon gegessen?“ vs. „Hatter schon gegessen?“

4    Das Personalpronomen wird präferiert, um auf das Subjekt des vorherigen Satzes zu verweisen, wohingegen das Demonstrativpronomen bevorzugt für den Rückbezug auf andere Satzglieder verwendet wird. Zum Beispiel würde der Satz „Sobald Paul die E-Mail an Peter geschickt hat, kann er weiterarbeiten“ eher so interpretiert werden, dass das Schreiben der E-Mail Vorrang vor Pauls Arbeit hat – wohingegen der Satz „Sobald Paul die E-Mail an Peter geschickt hat, kann der weiterarbeiten“ eher so gedeutet würde, dass Peter den Inhalt der E-Mail zum Weiterarbeiten benötigt.

5    Im ersten Satz wird neutral gefragt, ob die angesprochene Person eine dritte Person sympathisch findet, wobei keine Wertung über diese impliziert wird. Der zweite Satz würde wohl von den meisten so interpretiert werden, dass die sprechende Person eine Distanz zwischen sich und dieser dritten Person betonen möchte. Es schwingt etwas mit wie: „Magst du die etwa? Die ist doch total unsympathisch.“

6    Wie schon dey ist die Grundform de in reduzierter Aussprache nach einem Wort auf t mit er verwechselbar: „Hatte schon gegessen?“ vs. „Hatter schon gegessen?“

7    Außerdem mit Verweis auf das finnische Pronomen hän; im Finnischen gibt es keine grammatischen Geschlechter und auch keine geschlechtsspezifischen Personalpronomen.

8    Beim Stammtisch gab es auch einen Austausch zu der Idee, eine verkürzte geschlechtsneutrale Substantivform wie „Schüle“ zusätzlich zur längeren Form „Schülere“ vorzuschlagen. Wenn sich dieser Vorschlag durchsetzt, passt „e“ besonders gut ins Gesamtsystem, da dann sehr viele häufig gebrauchte Grundformen des Inklusivums durch Tilgung des Buchstaben „r“ am Wortende der entsprechenden maskulinen Form gebildet werden („de(r)“, „Schüle(r)“ und eben „e(r)“).