Pro-Contra-Liste: Pronomen-Gesamtsysteme

Auf dieser Seite geben wir eine Übersicht über die aus unserer Sicht wichtigsten Argumente für und gegen die Pronomen-Gesamtsysteme, die in dieser Umfrage zur Bewertung stehen. In den Fußnoten findest Du Details, die Du ohne großen Informationsverlust überspringen kannst.

1. Deklinationsmuster

Bei den verschiedenen Pronomen-Gesamtsystemen werden nicht immer die gleichen Fälle voneinander unterschieden. Häufig ist zum Beispiel der Akkusativ mit dem Nominativ identisch. Um einschätzen zu können, welche Vor- und Nachteile die verschiedenen Deklinationsmuster der zur Wahl stehenden Gesamtsysteme im Allgemeinen haben, führen wir sie hier in abstrakter Form auf, wobei die ersten beiden Muster in der Umfrage mit Abstand am häufigsten vorkommen:

1.1. Deklinationsmuster abca

Hier sind Nominativ und Akkusativ identisch, während Possessiv- und Dativform einzigartig sind. Dadurch, dass dieses Schema bereits im Neutrum (es/sein/ihm/es) und im Plural (sie/ihr/ihnen/sie) verwendet wird, beide allgemein geschlechtsneutral, und zwischen dem femininen (abba) und dem maskulinen (abcd) liegt, hat dieses Schema keine Konnotation mit einem der Geschlechter.

1.2. Deklinationsmuster abcd

In diesem Schema werden alle vier Formen voneinander unterschieden, was zu maximaler sprachlicher Freiheit führt, da keine Kasus-bedingten Missverständnisse umgangen werden müssen. Bisher kommt dieses Schema zwar in geschlechtsneutraler Bedeutung in der ersten und zweiten Person Singular (ich/mein/mir/mich; du/dein/dir/dich) vor, aber in der dritten Person nur im Maskulinum (er/sein/ihm/ihn), was zu einer männlichen Konnotation führen könnte – unter anderem auch deswegen, weil die maskulinen Kasusmarker m (Dativ) und n (Akkusativ) für die Deklination besonders intuitiv sind. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass vier unterschiedliche Formen gelernt werden müssen.

1.3. Deklinationsmuster abcc

Bei diesem Muster sind Dativ und Akkusativ identisch, aber vom Nominativ und der Possessivform verschieden. Das gibt es bisher nur in der ersten und zweiten Person Plural (wir/unser/uns/uns; ihr/euer/euch/euch), wodurch es in der dritten Person Singular als unintuitiv empfunden werden könnte.¹ Allerdings kann es nach unseren Erfahrungen selbst für grammatisch versierte Personen schwierig sein, im spontanen Sprachgebrauch bei einem Neopronomen immer korrekt zwischen Dativ und Akkusativ zu unterscheiden. Bei dieser Deklination fällt diese Fehlerquelle weg.

1.4. Deklinationsmuster abbb

Dieses Schema ist von diesen vier dasjenige mit den wenigsten zu erlernenden Formen, denn es wird nur der Nominativ von den anderen drei Formen unterschieden, die ihrerseits miteinander identisch sind. Ein Nachteil dieses Deklinationsmusters ist, dass es bisher im Deutschen nicht vorkommt.² Nur eines der zur Wahl stehenden Gesamtsysteme ist nach diesem Schema gebildet: en/ens/ens/ens.

1.5. Anmerkung

Anzumerken ist auch, dass die Personalpronomen der dritten Person im Deutschen bisher die gleiche Kasus-Komplexität haben wie die entsprechenden Artikel:

  • sie/ihr/ihr/sie – die/der/der/die
  • sie/ihr/ihnen/sie – die/der/den/die
  • es/sein/ihm/es – das/des/dem/das
  • er/sein/ihm/ihn – der/des/dem/den

Das spricht für die Varianten abca und abcd, da dies die einzigen Komplexitäten sind, die für den inklusivischen Artikel noch im Rennen sind (de/ders/derm/de und de/ders/derm/dern).

2. Grundform-Possessivform-Paare

2.1. Grundform en

Die Form en ist analog zu er und es nach dem Muster „e+Konsonant“ gebildet, wodurch sie für viele intuitiv als Pronomen erkennbar wäre und auch natürlich wirken könnte. Die Form bietet sich auch gut an, um analog zu bspw. „Hatse schon gegessen?“ und „Hatter schon gegessen?“ verschliffen zu werden („Hat’n schon gegessen?“, wobei „hat’n“ wie „hatten“ klingt).

2.1.1. Possessivform ens

Bei dieser Possessivform wird ein s an die Grundform gehängt, vergleichbar mit dem Genitiv-s z. B. bei Eigennamen (ens Auto – Kims Auto). Anders als Substantive im Genitiv wird diese Possessivform allerdings wie die bisherigen Possessiv-Artikel dekliniert: ense Jacke, an ensem Geburtstag. Das könnte für einige Deutschsprachige ungewohnt wirken.

2.1.2. Possessivform sihr

Diese Possessivform ist eine Mischung aus dem ihr des Femininums und Plural und dem sein des Neutrums und Maskulinums, wodurch darin alle Possessivformen der dritten Person enthalten sind. Die Form könnte für einige Deutschsprachige natürlicher als ens wirken, erstens da bisher fast alle Possessivformen einen anderen Stamm haben als die Grundform und zweitens weil es noch keine Possessivform gibt, die auf ‑s endet. Allerdings wäre es nach einem Wort, das auf einen s-Laut endet, im normalen Sprechfluss kaum bis gar nicht von ihr unterscheidbar.

2.1.3. Dativ und Akkusativ

  • em+en: Eine einfache Art, die Dativform von der Grundform en zu unterscheiden, ist die Ersetzung von n durch m. Dies passt auch gut dazu, dass sich derm als Dativform des bestimmten Artikels durchgesetzt hat und auch auf m endet. Allerdings sind em und en in unbetonter Position leicht mit ihm bzw. ihn verwechselbar (egal, ob das e kurz oder lang ausgesprochen wird). Beispiel: „Ich mag en sehr.“
  • hem+hen: Um diese Verwechslungsgefahr mit ihm bzw. ihn zu reduzieren, wird hier ein h an den Anfang gesetzt. Ein h ist nach einem Konsonanten im normalen Sprachfluss allerdings oft nicht heraushörbar. Außerdem wirkt es bei den resultierenden Deklinationsweisen en/ens/hem/hen und en/sihr/hem/hen für viele möglicherweise unmotiviert, dass die Grundform nicht hen lautet.
  • ens+ens: Diese Formen sind durch den Dativ und Akkusativ von wir motiviert (uns) und sollen die Verwechselbarkeit mit ihm bzw. ihn noch weiter auflösen. Nur noch vor einem folgenden stimmlosen s-Laut sind sie mit diesen verwechselbar, was nur in Dialekten ohne stimmhaften s-Laut nennenswert häufig vorkommt. In Kombination mit der Possessivform ens haben diese Formen zusätzlich der Vorteil, dass somit insgesamt nur zwei Formen gelernt werden müssen.
  • ihrm+sihn: Auch diese Deklination kommt in der Umfrage nur in Kombination mit sihr als Possessivform vor. In diesem System (en/sihr/ihrm/sihn) sind alle Formen außer die Grundform en eine Mischung aus der entsprechenden Form im Femininum und Plural und der des Neutrums und Maskulinums.³ Der Dativ ihrm ist in der gesprochenen Sprache relativ leicht mit der maskulinen bzw. neutralen Form ihm verwechselbar, genauso sihn mit ihn nach einem Wort, das auf einen s-Laut endet.
  • sihm+sihn: Diese Deklination steht nur in Kombination mit der Possessivform sihr zur Wahl. Possessiv- und Akkusativform sind durch eine Verschmelzung der femininen und maskulinen Form motiviert; die Dativform dadurch, dass das bei sihr und sihn natürlich auftretenden Muster „sih+Konsonant“ mit dem Konsonanten m auf den Dativ übertragen wird.

2.2. Grundform hen

Die Grundform hen ist aus dem Schwedischen übernommen, wo es in den letzten Jahren als drittes, geschlechtsneutrales Pronomen neben hon („sie“) und han („er“) große Verbreitung gefunden hat. Die Endung ‑en kommt im Deutschen bisher in jeder flektierbaren Wortart vor und ist allgemein keinem bestimmten Geschlecht zugeordnet.

2.2.1. Possessivform hens

(s. 2.1.1. Possessivform ens)

2.2.2. Possessivform sihr

(s. 2.1.2. Possessivform sihr)

2.2.3. Dativ und Akkusativ

  • hem/hen: Das m im Dativ ist über das Neutrum bzw. Maskulinum motiviert, wo es schon in verschiedenen Wortarten im Dativ vorkommt. Außerdem hat sich derm, was auch auf m endet, als Dativform des bestimmten Artikels durchgesetzt. Ein h ist nach einem Konsonanten im normalen Sprachfluss allerdings oft nicht heraushörbar, wodurch die Formen mit ihm bzw. ihn verwechselt werden könnten.

2.3. Grundform sen

Die Grundform sen kann dadurch motiviert werden, dass der Konsonant s schon der Anfangsbuchstabe des Personalpronomens sie ist und en im Deutschen bereits eine häufige grammatische Endung in verschiedenen Wortarten ist und in Kombination mit dem davorstehenden s zu einer Form führt, die sich klanglich gut von existierenden Pronomen unterscheidet und trotzdem intuitiv pronomenartig wirkt. Ein potentieller Nachteil dieser Grundform ist eine mögliche Assoziation mit dem Zen-Buddhismus.

2.3.1. Possessivform sin

Diese Form ist einerseits darüber motiviert, dass es näher an der Grundform sen ist als sihr, und andererseits über den geschlechtsübergreifenden reflexiven Possessiv-Artikel sin in einigen nordgermanischen Sprachen (z. B. dem Schwedischen).

2.3.2. Possessivform sihr

Neben den unter 2.1.2. Possessivform sihr aufgeführten Argumenten ist diese Possessivform in Kombination mit der Grundform sen zusätzlich dadurch motiviert, dass sie mit dem gleichen Buchstaben wie die anderen Formen beginnt.

2.3.3. Dativ und Akkusativ

  • sem/sen: Das m im Dativ ist über das Neutrum bzw. Maskulinum motiviert, wo es schon in verschiedenen Wortarten im Dativ vorkommt. Außerdem hat sich derm, was auch auf m endet, als Dativform des bestimmten Artikels durchgesetzt. Nach einem s-Laut könnten die Formen mit ihm bzw. ihn verwechselt werden, ansonsten sind sie gut davon unterscheidbar.
  • sihm/sen: Diese Deklination steht nur in Kombination mit der Possessivform sihr zur Wahl. Dadurch enthalten sowohl Possessiv- als auch Dativform die Buchstabenfolge ih, was nicht nur eine Analogie zum Femininum einbringt, wo dies ebenfalls so ist, sondern zusätzlich die Possessivform weniger alleinstehend wirken lässt. Allerdings ist die Form sihm nach einem auf einen s-Laut endenden Wort noch schwerer von ihm unterscheidbar als sem.

2.4. Grundform dey

Diese Grundform ist eine Eindeutschung des englischen Pronomens they, das von vielen englischsprachigen Nichtbinären als eigenes Pronomen gewählt wird. Die Buchstabenkombination ey wird daher wie im deutschen Ausruf hey! als [ɛj] ausgesprochen.

2.4.1. Dativ und Akkusativ

  • denen/dey: Diese Deklinationsweise ist bereits relativ verbreitet. Die Dativform ist darüber motiviert, dass das englische „they/them“, wovon die Grundform abgeleitet ist, ursprünglich rein pluralisch war, genau wie denen im Deutschen bisher nur in pluralischer Bedeutung vorkommt. Das hat allerdings auch den Nachteil, dass die Form dadurch mit eben diesem existierenden Wort „denen“ verwechselt werden kann, vor allem in Kontexten, in denen beide Interpretationsweisen Sinn ergeben würden.
  • denem/dey: Um das im vorigen Abschnitt dargelegte Problem der Zweideutigkeit zu reduzieren, lautet hier die Dativform denem. Das verschafft zumindest im Schriftbild Klarheit. In der gesprochenen Sprache hingegen wäre „denem“ häufig kaum von „denen“ unterscheidbar.
  • deym/dey: Die Dativform hier liegt klanglich noch näher beim englischen Vorbild them, und auch bei der Grundform dey. Diese Deklinationsweise ist wahrscheinlich für viele recht intuitiv.
  • deym/deyn: Wenn der Akkusativ vom Nominativ unterschieden werden soll, bietet sich auch diese Deklinationsweise an.

Fußnoten

1 In der dritten Person kommt dieses Deklinationsmuster nur bei einigen Substantiven vor, z. B. Name/Namens/Namen/Namen. Allerdings ist die Deklination von Substantiven allgemein weniger nah bei der von Personalpronomen als die von Artikeln.

2 Dieses Deklinationsmuster kommt nur bei einigen Substantiven vor, z. B. Kollege/Kollegen/Kollegen/Kollegen. Allerdings ist die Deklination von Substantiven allgemein weniger nah bei der von Personalpronomen wie die von Artikeln.

3 Außerdem endet die Form ihrm genau wie die Dativform des inklusivischen Artikels (derm) auf ‑rm – analog dazu, dass bisher alle Dativformen der dritten Person auf den gleichen Konsonanten enden wie der entsprechende Artikel (ihmdem, ihrder, ihnenden).

4 Mit „reflexiv“ ist hier gemeint, dass es immer auf das Subjekt des Satzes zurückverweist.

5 Beispiel: „Kurz nachdem dey deren Eltern davon erzählt hat, hab ich mich mit denen darüber ausgetauscht.“ Hier ist unklar, ob die sprechende Person mit den Eltern gesprochen hat oder mit deren Kind. Diese Art der Zweideutigkeit kommt zwar auch im Femininum vor („Nachdem sie ihren Eltern davon erzählt hat, habe ich sie danach gefragt“), doch die Verwechselbarkeit würde wohl eine zusätzliche Hürde bei der Etablierung des Neopronomens darstellen, da die Deutschsprachigen nicht darauf konditioniert sind, bei denen die Interpretation in Erwägung zu ziehen, dass es sich um eine Singularform handelt – bei sie hingegen schon.

6 Bisher enden alle Dativformen der dritten Person auf den gleichen Konsonanten wie die entsprechenden Artikel (ihmdem, ihrder, ihnenden). Da sich derm als Dativform des inklusivischen Artikels durchgesetzt hat, passt das m auch in dieser Hinsicht besser als das n. Ein weiteres Argument für denem gegenüber denen ist, dass bei Artikeln und Pronomen das n im Dativ bisher nur im Plural vorkommt (den Hunden, ihnen, denen) und das m nur im Dativ Singular (dem Hund, ihm), wodurch die Plural-Assoziation bei Letzterem deutlich geringer sein dürfte.