Pro-Contra-Liste: Starke Endung

Auf dieser Seite geben wir eine Übersicht über die aus unserer Sicht wichtigsten Argumente für und gegen die Vorschläge für die starke Endung, die in dieser Umfrage zur Bewertung stehen. In den Fußnoten findest Du Details, die Du ohne großen Informationsverlust überspringen kannst.

1. Endung -et

Diese Endung ist im Hochdeutschen klar von anderen Endungen unterscheidbar, die in entsprechenden grammatischen Kontexten auftreten können. In einigen Dialekten ist es hingegen die Endung des Neutrums, wodurch es auch im Hochdeutschen für viele eine versächlichende Assoziation geben könnte.

2. Endung -ey

Durch das Englische singular they hat der Diphthong ey (ausgesprochen [ɛɪ̯] wie in hey) wohl für viele eine geschlechtsneutrale Konnotation. Die Endung könnte im Sprechfluss allerdings zu einem e-Schwa verschliffen werden, wodurch bspw. „Liebey Kim“ nicht mehr von „Liebe Kim“ unterscheidbar wäre. Außerdem ist der Diphthong für einige vielleicht fremdartig und schwer aussprechbar, vor allem in einer unbetonten Silbe.¹

3. Endung -ei

Phonetisch betrachtet kommt dieser Diphthong etwa dabei heraus, wenn die feminine Endung [‑ə] an die maskuline [‑ɐ] gehängt wird. Er ist außerdem wohl für die meisten weniger fremdartig als ‑ey. Allerdings könnte eine Assoziation mit dem Hühnerei stören, vor allem in der Gewöhnungsphase. Außerdem der zweifache ei-Laut in Wörtern wie keinei und einei.

4. Endung -ens

Diese Endung befand sich schon für die Artikel im Rennen, wo wir sie vor allem deswegen eingebracht hatten, weil sie von Lann Hornscheidt vorgeschlagen wird und dadurch bereits Aufmerksamkeit erhalten hat. Hornscheidts Hauptmotivation für die Form ist, dass die Buchstaben in gleicher Reihenfolge im Wort Mensch vorkommen. Ein Nachteil der Endung ist, dass sie für einige zu nah beim Neutrum liegen könnte. Außerdem könnte sie für eine Genitiv-Endung gehalten werden.

5. Endung -ere

Dieser Vorschlag passt gut mit dem derzeit beliebtesten Substantivsystem zusammen, in dem viele Formen auf ‑ere enden (Schülere, Kundere). Wir könnten dann sowohl bei den Substantiven als auch bei der Nominativform der Adjektive angeben, dass normalerweise die Endung ‑e verwendet wird, aber ‑ere, wenn ‑e schon vom Maskulinum bzw. Femininum belegt ist. Aus der Sicht des Gesamtsystems ergibt sich dadurch der Vorteil, dass im Nominativ alle inklusivischen Endungen mit dem Buchstaben ‑e enden (sofern sie nicht wie ein oder hen endungslos sind), sodass die Formen des Systems einen einheitlichen Klang haben, was auch die Erlernbarkeit unterstützen könnte.²

Die Endung -ere ist bei Adjektiven mit der Komparativform verwechselbar: als Erwachsenere klingt so, als ob ein Vergleich mit weniger erwachsenen Personen gemacht wird.³

Die Endung ‑ere ist zweisilbig, was für eine grammatische Endung ungewöhnlich ist und von einigen als schwerfällig wahrgenommen werden könnte.

6. Endung -re

Die Endung ‑re hat ähnliche Vor- und Nachteile wie ‑ere. Wegen der Ähnlichkeit von ‑re und ‑ere bietet es sich an, die beiden Endungen als Varianten zuzulassen, sodass je nach Kontext die vorteilhaftere gewählt werden kann.

Mit dieser Endung gibt es in der Schriftform eine Unterscheidung von der Komparativform (s. Endung ‑ere). In der gesprochenen Sprache bleibt dieses Problem aber weiterhin erhalten, da dort ein unbetontes e im Wort häufig verschliffen wird.

Bei Adjektiven, die auf ‑r enden, führt die Endung ‑re zu Problemen, da z. B. nichtbinärre nach den geltenden Ausspracheregeln mit kurzem ä gesprochen werden müsste, was allerdings von der Aussprache in der Grundform abweicht. Derartige Fälle könnten fast gänzlich vermieden werden, wenn bei nicht substantivierten Adjektiven außerhalb von Anreden die Endung ‑e statt ‑re verwendet wird, da unseres Wissens keins der im Deutschen üblicherweise substantivierten Adjektive in seiner Grundform auf ‑r endet.

7. Endung -e

Ein Vorteil der Endung ‑e ist, dass sie wohl auf die meisten natürlicher wirkt als eine leere oder eine komplett neue starke Endung, da sie bereits existiert, und das in allen Genera. Außerdem ist die Endung weniger aufwändig auszusprechen als die zur Debatte stehenden starken Endungen.

Nach ein könnte die Form des Adjektivs die maskuline Konnotation der Form ein ausgleichen, denn nach dem Nominativ der Artikel des ein-Paradigmas endet das Adjektiv bisher nur im Femininum auf ‑e (eine Bekannte, aber ein Bekannter, ein Bekanntes, keine Bekannten).

Ein weiterer Grund, nach ein die schwache Form des Adjektivs zu verwenden, ist, dass auf einen Artikel bisher nur die starke Form des Adjektivs folgt, wenn der Artikel endungslos ist. Das betrifft nur den Nominativ und Akkusativ Neutrum und den Nominativ Maskulinum des ein-Paradigmas (also ein, mein, ihr etc.). Sollte sich für das Inklusivum allerdings die endungslose Form auch für die Artikel des jed-Paradigmas durchsetzen, könnte Verwirrung aufkommen, ob auch nach dieser die starke Endung verwendet werden, es also z. B. jed Abgeordnetey statt jed Abgeordnete heißen soll.

Wenn das betroffene Adjektiv nach ein substantiviert ist, könnte es vor allem in der Anfangsphase passieren, dass es als maskuline Endung verstanden wird, also das gewohnte ein Bekannter gehört wird statt ein Bekannte, da die beiden Endungen recht ähnlich klingen. Dieses Problem würde allerdings nicht bei den deutlich häufiger vorkommenden attributiven nicht-substantivierten Adjektiven auftreten, da diese dann einem Substantiv vorausgehen, das eine deutlich zu hörende inklusivische Markierung trägt (ein bekannte Sängere).

Im Gegensatz zu den neuen starken Endungen funktioniert ‑e nicht in allen Kontexten, in denen bisher die starke Endung verwendet wird (z. B. wären Formulierungen wie Liebe Kim, … und Ich als Abgeordnete nicht vom Femininum unterscheidbar). So müsste in diesen Kontexten eine andere Endung verwendet werden, was das Gesamtsystem schwieriger zu erlernen machen könnte.

8. Leere Endung

Vorteile der leeren Endung sind, dass es so gut wie gar kein Potential für problematische Assoziationen gibt (z. B. mit Neutrum, Maskulinum, Femininum oder Verniedlichungs-Suffix), die entstehenden Formen leicht aussprechbar sind und auch kürzer als die existierenden in den gleichen Kontexten. Letzteres kann vor allem bei den Adjektiven auch ein Nachteil sein, da es zu einem ungewohnten Rhythmus führt und auf manche unnatürlich wirken könnte (z. B. als bekannt Sängere vs. als bekanntey Sängere).

Wenn ein substantiviertes Adjektiv mit leerer Endung prädikativ verwendet wird, ist es in gesprochener Form nicht mehr von einem nicht substantivierten Adjektiv unterscheidbar, was zu Verwirrung führen kann: Hen ist Abgeordnet vs. Hen ist abgeordnet.

Anreden mit Lieb können den Eindruck erwecken, dass die Imperativform von lieben verwendet wird, was vor allem dann zu Verwirrung führen kann, wenn die angesprochene Person das System nicht kennt.

Bei der maskulinen Akkusativform des ein-Paradigmas (einen) wird die Endung ‑en meist so verschliffen, dass die Form wie ein klingt. In einem Satz wie Das betrifft ein von uns beiden (für den wahrscheinlichen Fall, dass sich eine Drei-Kasus-Unterscheidung durchsetzt) wäre bei normaler Aussprache also mindestens eine maskuline Assoziation da – wenn das System der anderen Person allerdings unbekannt ist, würde sie wohl nicht darauf kommen, dass es sich nicht um ein Maskulinum handelt.

Das Wort dies existiert schon als Kurzform von dieses, was es einerseits weniger unnatürlich als jed erscheinen lässt, andererseits aber auch versächlichend wirken könnte.


Fußnoten

1 Für einige könnte aber auch die Aussprache [aɪ̯] wie in drei oder Meyer naheliegender wirken. Auch [i] ist nicht abwegig, da ‑ey im Englischen als unbetonte Endung bisher meistens so ausgesprochen wird (money, journey, Cockney). Eine in dieser Weise abweichende Aussprache würde allerdings nicht zu einer Verwechslungsgefahr mit existierenden Formen führen.

2 Ein Großteil der inklusivischen Formen im Nominativ wäre dann durch das folgende Prinzip abgedeckt, das auch im spontanen Sprachgebrauch gut umsetzbar ist: Es kann allgemein zuerst die kürzeste mögliche Form auf ‑e gesagt werden; wenn dann gemerkt wird, dass dies zu einem Clash mit dem Femininum oder Maskulinum führt, kann noch rasch ‑re angehängt werden.

3 Dieses Problem ließe sich dadurch mindern, dass die starke Endung bei Adjektiven nur dann verwendet wird, wenn eine schwache Endung zu einem Ausdruck führen würde, der sich in keiner Weise vom Femininum unterscheidet. Es würde also als bekannte Sängere heißen, aber als Abgeordnetere. Dadurch würde die starke Endung nur noch bei Anreden und substantivierten Adjektiven benötigt. Die Adjektive, die am häufigsten für Personenbezeichnungen substantiviert werden, sind entweder überhaupt nicht steigerbar (Abgeordnete(r), Vorsitzende(r), Verlobte(r)) oder werden nur selten gesteigert (Bekannte(r), Jugendliche(r), Erwachsene(r), Deutsche(r), Fremde(r)), sodass es hier praktisch kaum zu Verwechslungen mit Komparativformen kommen würde.

4 Auch die Aussprache von Wörtern wie einre, diesre und Jugendlichre könnte einigen Schwierigkeiten bereiten. Vor allem könnte es die Tendenz geben, einen Schwa-Laut vor dem r einzuschieben, wodurch sich die Leute fragen könnten, warum die Formen nicht mit ‑ere, sondern mit ‑re geschrieben werden.