Hinweis: Auf dieser Seite stellen wir eine geschlechtsneutrale Umformulierung von Grimms „Rotkäppchen“ im De-e-System vor. Im Gegensatz zu unseren anderen Beispieltexten enthält dieser nur wenige Substantive, die auf die übliche Weise mit der Singular-Endung „-e“ und der Plural-Endung „-rne“ gebildet werden. Wer diese besonders üben will, sollte sich lieber den Beispieltext zu bekannten nichtbinären Personen oder den über die Schachregeln anschauen. Im ersten liegt der Fokus auf geschlechtsneutralen Bezeichnungen für konkrete nichtbinäre Personen, im zweiten für unspezifische Personen beliebigen Geschlechts. Der Rotkäppchen-Text soll demonstrieren, wie das De-e-System in einem eher literarischen Kontext wirkt.
Es war einmal ein kleines süßes Kind, das hatte jedey lieb, de en nur ansah, am allerliebsten aber ens Großelter, de wusste gar nicht was en dem Kind alles geben sollte. Einmal schenkte en em ein Käppchen von rotem Sammet, und weil em das so wohl stand, und en nichts anderes mehr tragen wollte, hieß en nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach ens Elter zu em „komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das derm Großelter hinaus; en ist krank und schwach und wird sich daran erfreuen. Mach dich auf bevor es heiß wird, und wenn du hinaus kommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas und de Großelter hat nichts. Und wenn du in ense Stube kommst, so vergiss nicht guten Morgen zu sagen und guck nicht erst in alle Ecken herum.“
„Ich will schon alles gut machen“ sagte Rotkäppchen zurm Elter, und gab em die Hand darauf. De Großelter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete em de Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor em. „Guten Tag, Rotkäppchen,“ sprach en. „Schönen Dank, Wolf.“ „Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?“ „Zurm Großelter.“ „Was trägst du unter der Schürze?“ „Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich de kranke und schwache Großelter etwas Gutes tun, und sich damit stärken.“ „Rotkäppchen, wo wohnt dein Großelter?“ „Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ens Haus, unten sind die Nußhecken, das wirst du ja wissen“ sagte Rotkäppchen. De Wolf dachte bei sich „das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als de Alte: du musst es listig anfangen, damit du beide erschnappst.“ Da ging en ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach en „Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die rings umher stehen, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin als wenn du zur Schule gingst, und es ist so lustig hier draußen im Wald.“
Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als en sah wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten, und alles voll schöner Blumen stand, dachte en „wenn ich derm Großelter einen frischen Strauß mitbringe, der wird em auch Freude machen; es ist so früh am Tag, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme,“ lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn en eine gebrochen hatte, meinte en weiter hinaus stände eine schönere, und lief dahin, und geriet immer tiefer in den Wald hinein. De Wolf aber ging geradeswegs zu dem Haus ders Großelters, und klopfte an die Tür. „Wer ist draußen?“ „Rotkäppchen. Ich bringe Kuchen und Wein, mach auf.“ „Drück nur auf die Klinke,“ rief de Großelter, „ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.“ De Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf und en ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett ders Großelters und verschluckte en. Dann zog en ense Kleider an, setzte ense Haube auf, legte sich in ens Bett und zog die Vorhänge vor.
Rotkäppchen aber war auf der Suche nach Blumen umhergelaufen, und als en so viel zusammen hatte, dass en keine mehr tragen konnte, fiel em de Großelter wieder ein und en machte sich auf den Weg zu em. En wunderte sich, dass die Tür aufstand, und wie en die Stube trat, so kam es em so seltsam darin vor, dass en dachte „ei, du mein Gotte, wie ängstlich wird mirs heute zu Mut, und bin sonst so gerne bei derm Großelter!“ En rief „guten Morgen,“ bekam aber keine Antwort. Darauf ging en zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag de Großelter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. „Ei, Großelter, was hast du für große Ohren!“ „Dass ich dich besser hören kann.“ „Ei, Großelter, was hast du für große Augen!“ „Dass ich dich besser sehen kann.“ „Ei, Großelter, was hast du für große Hände!“ „Dass ich dich besser packen kann.“ „Aber, Großelter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ „Dass ich dich besser fressen kann.“ Kaum hatte de Wolf das gesagt, so tat en einen Satz aus dem Bett und verschlang das arme Rotkäppchen.
Wie de Wolf ens Gelüsten gestillt hatte, legte en sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an überlaut zu schnarchen. De Jägere ging eben an dem Haus vorbei und dachte „wie de alte Person schnarcht, du mußt doch sehen ob em etwas fehlt.“ Da trat en in die Stube, und wie en vor das Bette kam, so sah en, dass de Wolf darin lag. „Finde ich dich hier, du altey Sündere,“ sagte en, „ich habe dich lange gesucht.“ Nun wollte en ense Büchse anlegen, da fiel em ein, dass de Wolf de Großelter gefressen haben könnte, und en wäre noch zu retten: en schoss nicht, sondern nahm eine Scheere und fing an derm schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie en ein paar Schnitte getan hatte, da sah en das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Kind heraus und rief „ach, wie war ich erschrocken, wie wars so dunkel in derm Wolf ensem Leib!“ Und dann kam de alte Großelter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie derm Wolf den Leib, und wie en aufwachte, wollte en fortspringen, aber die Steine waren so schwer, dass en gleich niedersank und tot fiel.
Da waren alle drei vergnügt; de Jägere zog derm Wolf den Pelz ab und ging damit heim, de Großelter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen aber dachte „du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn es dir de Elter verboten hat.“
Es wird auch erzählt, dass einmal, als Rotkäppchen derm alten Großelter wieder Gebackenes brachte, ein andere Wolf en zugesprochen und en vom Wege habe ableiten wollen. Rotkäppchen aber hütete sich und ging gerade fort enses Wegs und sagte derm Großelter, dass en derm Wolf begegnet wäre, de em guten Tag gewünscht, aber so bös aus den Augen geguckt hätte: „wenns nicht auf offner Straße gewesen wäre, en hätte mich gefressen.“ „Komm,“ sagte de Großelter, „wir wollen die Tür verschließen, dass en nicht herein kann.“ Bald danach klopfte de Wolf an und rief „mach auf, Großelter, ich bin das Rotkäppchen, ich bring dir Gebackenes.“ Sie schwiegen aber still und machten die Tür nicht auf: da schlich der Graukopf etlichemal um das Haus, sprang endlich aufs Dach und wollte warten bis Rotkäppchen abends nach Haus geht, dann wollte en em nachschleichen und wollte en in der Dunkelheit fressen. Aber de Großelter merkte, was en im Sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein großer Steintrog, da sprach en zum Kind „nimm den Eimer, Rotkäppchen, gestern hab ich Würste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind, in den Trog.“ Rotkäppchen trug so lange, bis der große große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Würsten derm Wolf in die Nase, en schnupperte und guckte hinab, endlich machte en den Hals so lang, dass en sich nicht mehr halten konnte, und anfing zu rutschen: so rutschte en vom Dach herab, gerade in den großen Trog hinein und ertrank. Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Hause, und niemand tat em etwas zu Leide.