Was bringt geschlechtsneutrale Sprache?

Es gibt mehrere Anwendungskontexte für geschlechtsneutrale Sprache:

  • um über eine Personengruppe gemischten Geschlechts zu sprechen
  • um über eine unspezifische Person beliebigen Geschlechts zu sprechen
  • um über eine Person zu sprechen, deren Geschlecht man nicht kennt
  • um in anonymisierter Form über eine Person zu sprechen, ohne ihr Geschlecht zu erwähnen
  • um das Geschlecht einer Person unerwähnt zu lassen, wenn es keine Rolle spielt
  • um über eine nichtbinäre Person zu sprechen, also über eine Person, die sich weder als ausschließlich weiblich noch als ausschließlich männlich identifiziert

Für die ersten beiden Funktionen werden traditionell maskuline Personenbezeichnungen verwendet (z. B. „Viele meiner Studenten sind sehr progressiv.“; „Jemand hat seine Brieftasche verloren, ich hoffe, er findet sie wieder.“). Diese Verwendung nennt sich generisches Maskulinum. Seitdem die Gleichstellung der Frauen als gesellschaftliches Ziel angestrebt wird, gibt es einen wachsenden Teil der Gesellschaft, der diesen Sprachgebrauch als diskriminierend und mit der Gleichstellung unvereinbar wahrnimmt. Unter anderem wird dabei darauf hingewiesen, dass sich viele Leute bei solchen Ausdrücken, die eigentlich Personen beliebigen Geschlechts meinen sollen, doch meistens nur einen Mann vorstellen und sich daher nicht angesprochen oder repräsentiert fühlen, sodass diese Ausdrücke ihre generische Funktion nicht ausreichend erfüllen. Hier gibt es weitere Erläuterungen dazu, wieso das generische Maskulinum nicht für den geschlechtsneutralen Sprachgebrauch taugt.

Es gibt aber noch ein zusätzliches Problem des generischen Maskulinums: Traditionell wurde es nur für die ersten beiden der sechs oben aufgezählten Anwendungsfälle für geschlechtsneutrale Sprache verwendet. Sobald es um eine spezifische Person geht, drücken maskuline Begriffe wie der Lehrer, mein Nachbar oder er aus, dass über einen Mann gesprochen wird. Diese maskulinen Begriffe eignen sich also nicht dazu, um über nicht-binäre Personen zu sprechen oder das Geschlecht einer Person unerwähnt zu lassen, wenn es keine Rolle spielt. Früher war das kein großes Problem, da es praktisch kein Bewusstsein für die Existenz nichtbinärer Personen gab und das Geschlecht eine solch wichtige gesellschaftliche Rolle gespielt hat, dass es für die meisten Leute sehr natürlich war, es immer zu erwähnen, wenn über eine spezifische Person gesprochen wurde.

Nichtbinäre Personen und ihre Mitmenschen stehen häufig vor der Schwierigkeit, dass es die deutsche Sprache in ihrer traditionellen Form sehr schwierig macht, über nichtbinäre Personen zu sprechen, ohne dabei Wörter zu verwenden, die eine Zugehörigkeit zu einem der beiden traditionellen Geschlechter ausdrücken. Durch die im Dezember 2018 beschlossene Reform des Personenstandsgesetzes, die in Deutschland den Geschlechtseintrag „divers“ ermöglicht, ist diese sprachliche Problematik mittlerweile auch für den amtlichen Sprachgebrauch relevant. Zusätzlich ist dadurch die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für das Thema gestiegen, wodurch der Genderstern mittlerweile deutlich mehr Leuten bekannt ist als noch Anfang 2018. Der Genderstern hat allerdings eher die Eigenschaften einer vor allem schriftsprachlichen Behelfslösung. Durch die gestiegene Aufmerksamkeit für das Thema besteht jetzt allerdings das Bedürfnis nach einer Lösung, die langfristig natürlicher Teil der Umgangssprache werden kann. Für eine solche Lösung setzen wir uns ein, ohne dabei Vorschriften machen zu wollen. Hier wird detaillierter erläutert, wieso der Genderstern und andere bisherige Formen des Genderns keine zufriedenstellende Lösung sind.

In unserer modernen Gesellschaft spielt das Geschlecht keine so große Rolle mehr wie früher, sodass es immer mehr Menschen natürlich erscheint, über eine Person zu sprechen, ohne ihr Geschlecht zu erwähnen, genauso wie man über eine Person sprechen kann, ohne ihr Alter, ihre Nationalität oder ihre Haarfarbe zu erwähnen. Der Zwang, das Geschlecht auch in Situationen zu erwähnen, in denen es gar nicht relevant ist, scheint vielen nicht mehr zeitgemäß.

Sprache passt sich im Laufe der Zeit den kommunikativen Bedürfnissen der Sprecherne an. Am deutlichsten ist dies bei wissenschaftlichen und technologischen Innovationen zu erkennen, die immer mit der Etablierung neuer Begriffe Hand in Hand gehen. Aber auch gesellschaftlicher Wandel beeinflusst den Sprachgebrauch. So fühlt sich heutzutage kaum noch jemand dazu verpflichtet, eine unverheiratete Frau mit „Fräulein“ anzusprechen, obwohl dies noch vor wenigen Jahrzehnten die Norm war.

Da es heute ein wachsendes Bedürfnis dafür gibt, von anderen Personen reden zu können, ohne diesen eine der beiden traditionellen Geschlechtskategorien zuzuordnen, ist davon auszugehen, dass sich die Sprache an dieses kommunikative Bedürfnis anpassen wird. Aus unserer Sicht geht dies nur über die Etablierung eines neuen geschlechtsneutralen Genus, das wir Inklusivum nennen. Anders als das Maskulinum und Femininum hat das Inklusivum keinen Bezug zu einem der beiden traditionellen Geschlechter, und anders als das Neutrum erweckt es nicht den Eindruck, dass die genannte Person entmenschlicht wird.

Es gibt mehrere Vorschläge dafür, wie die Formen des Inklusivums aussehen könnten. Der Verein für geschlechtsneutrales Deutsch e. V. hat einen kollektiven Entscheidungsprozess zur Entwicklung eines Formensystems unterstützt, das hier vorgestellt wird.

Weitere Seiten zur Motivation für die Einführung des Inklusivums: