Wieso nicht beim bisherigen Gendern bleiben?

Wegen der hier erläuterten gesellschaftlichen Veränderungen bezüglich des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern und des Bewusstseins für nichtbinäre Personen ist es bereits zu Veränderungen im Sprachgebrauch gekommen.

Auf Grundlage von feministischen Bestrebungen nach Gleichheit zwischen Frauen und Männern wird das generische Maskulinum schon seit Jahrzehnten kritisiert. Es wurden verschiedene Methoden entwickelt, es zu vermeiden und expliziter Frauen einzubeziehen, z. B. die Doppelnennung (Lehrerinnen und Lehrer), die Schrägstrichschreibung (Lehrer/-innen) oder das Binnen-I (LehrerInnen), das erstmals 1981 als Alternative zur Schrägstrichschreibung eingeführt wurde.

Diese Formulierungsweisen basieren auf einem binären Verständnis der geschlechtlichen Kategorien und stellen daher für uns keine angemessenen Lösungen dar. Um eindeutig zum Ausdruck zu bringen, dass Menschen aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten gemeint sind, wurde 2003 der Gender-Gap wie in Lehrer_innen eingeführt. Mittlerweile findet der bedeutungsgleiche Genderstern wie in Lehrer*innen immer mehr Anwendung, z. B. in progressiven Medien, in Stellenausschreibungen, auf den Webseiten vieler Jugendorganisationen, im privaten Schriftverkehr und neuerdings teilweise auch im amtlichen Schriftgebrauch, z. B. in den Stadtverwaltungen von Köln, Frankfurt und Hannover. Der Genderstern wird anders als das Binnen-I von manchen auch in Singular-Formen wie er*sie und ein*e verwendet. Neben Gender-Gap und Genderstern gibt es auch den Gender-Doppelpunkt, z. B. in Lehrer:innen.

Kritik

Ein Problem dieser Ansätze ist, dass sie primär für die Schriftsprache konzipiert sind und nicht offensichtlich ist, wie sie auf die gesprochene Sprache übertragen werden können. Die am meisten praktizierte Lösung dafür besteht darin, die Endung ‑innen nach dem Genderstern wie ein eigenes Wort auszusprechen, sodass ein sogenannter Glottisschlag eingeschoben wird, wie zwischen e und a in bearbeiten.

Manche Leute, die den Genderstern verwenden, sehen ihn nur bei den Substantiven als zufriedenstellende Lösung an und erkennen die Notwendigkeit für sonderzeichenfreie inklusivische Artikel, Pronomen und Adjektiv-Endungen an. Dieser Ansatz zum Genderstern ist gut mit dem auf dieser Webpräsenz vertretenen Vorschlag zur Einführung eines Inklusivums vereinbar.

Neben dem Vorschlag, den Genderstern nur bei Substantiven zu verwenden, gibt es die Idee, ihn auch bei Artikeln, Pronomen und Adjektiv-Endungen zu benutzen und dadurch die Notwendigkeit für die Etablierung eines Inklusivums zu umgehen. Diesen Vorschlag halten wir für sehr problematisch, da er zu komplexen und kaum aussprechbaren Formen führt. Hier ein Beispiel dafür: „Die*der Gitarrist*in dieser Band ist mein*e ehemalige*r Nachbar*in.“ Vergleiche dazu denselben Satz im De-e-System: „De Gitarriste dieser Band ist mein ehemalige Nachbare.“ Außerdem ist bei Ausdrücken wie er*sie kein Glottisschlag an der Stelle des Gendersterns möglich, sodass dieser Ausdruck genauso klingt wie die Wortfolge er sie: Der Unterschied zwischen „Hat er*sie gemalt?“ und „Hat er sie gemalt?“ ist nicht zu hören.

Etablierte Alternativen

Bei einigen Personenwörtern werden andere Lösungen praktiziert. So wird z. B. statt Lehrer Lehrkräfte gesagt und statt Mitarbeiter Mitarbeitende. Solche Ausweichformen funktionieren allerdings nur bei einem Bruchteil der deutschen Personenbezeichnungen (z. B. für die Substantive Schüler und Präsident ist es schwierig, eine solche Alternative zu finden). Außerdem bringen sie andere Nachteile mit sich: Solche Formen, die auf ‑kraft enden (z. B. Lehrkraft, Putzkraft, Hilfskraft) werden von einigen als entmenschlichend empfunden. Und Partizipien wie Mitarbeitende oder Geflüchtete sind nur im Plural geschlechtsneutral, denn im Singular werden sie entweder in Kombination mit einem Artikel verwendet (der Mitarbeitende, eine Geflüchtete) oder mit einer geschlechtlich markierten Endung (Mitarbeitender des Monats, als Geflüchtete).

Da das Bedürfnis nach geschlechtsneutralen Begriffen stetig wächst, sind geschlechtsneutrale Begriffe wünschenswert, die eine realistische Chance haben, mittel- bis langfristig Teil des natürlichen Sprachgebrauchs zu werden. Für die Substantiv-Endung -*in, die mit Glottisschlag ausgesprochen wird, scheint eine solche Entwicklung eher unrealistisch, da die Aussprache vielen Leuten für den spontanen Sprachgebrauch zu umständlich ist. Der Genderstern (bzw. Gender-Gap oder Doppelpunkt) wird zwar schon von vielen in der Schriftsprache verwendet und von einigen auch beim Vorlesen von schriftsprachlich verfassten Texten in der Aussprache markiert, wird aber bis jetzt sehr wenig beim spontanen Sprechen verwendet. Das liegt vor allem daran, dass es sich dabei um Lösungen handelt, die ursprünglich für die Schriftsprache entwickelt wurden und in der gesprochenen Sprache nicht wirklich praktikabel sind, besonders bei Artikeln, Adjektiven und Pronomen.

Weitere Seiten zur Motivation für die Einführung des Inklusivums: